01. Januar 2014
Das erste Jahr als Bahnhofsbesitzer (Eigentümer bin ich erst seit der Eintragung ins Grundbuch) ist Anlaß ein
Resümeé zu ziehen.
Mit 55 Jahren ist man dann auch vielleicht schon in dem Alter daran zu denken, was man erreicht, bzw. was man
verpasst hat.
In dem Buch “5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen” stellt die Autorin Bronnie Ware Personen vor, deren
Erkenntnisse nachdenklich machen und in Erinnerung rufen, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Versäumnis Nr. 1
Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir
erwarteten
Den Punkt kann ich abhaken. Erst kürzlich hat man mir zu meiner Gradlinigkeit gratuliert. die ist es dann vielleicht
auch, die bei den Anderen zu Irritationen führt. Der Weg des geringsten Widerstandes ist nicht meiner und auch
nicht der Wille “Everybodys Darling” zu werden. Man kann nur Wellen schlagen, wenn man auch einmal bereit ist
Stein des Anstoßes zu sein.
Versäumnis Nr. 2
Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet
Über Arbeitsmangel brauche ich mich wahrlich nicht zu beklagen. Und es ist auch nicht die Arbeit, die mir von außen
auferlegt wird, sondern die, die man sich selbst ausgesucht hat. Ist es aber nicht ein entscheidender Unterschied,
weshalb man und für was man arbeitet?
Ist die Arbeit falsch, wenn sie darin besteht, die Welt besser zu machen, Spuren zu hinterlassen, Anstösse zu geben.
In dem 1. Jahr als Bahnhofsbesitzer wurde die alte Heizung mit fossilen Brennstoffen auf eine nachhaltige,
energiesparende Variante umgestellt. Ich konnte mit meiner Hände Arbeit einen Raum schaffen für Jemand, der 20
Jahre lang von einem Provisorium ins andere verfrachtet wurde.
Und nicht zuletzt die Arbeit an dem Kulturprogramm im Bahnhofssaal. Das “Herr Seifert, jetzt ist die Kultur wirklich
im Alltag angekommen” eines Konzertbesuchers war Entschädigung genug für die Arbeit davor und danach und
zeigt, dass es die Mühe wert ist.
Versäumnis Nr. 3
Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen
Sehr oft habe ich nach Leserbriefen Zuschriften, oder Anrufe erhalten mit der Bitte mich dieses, oder jenes Themas
anzunehmen. Aufgrund der Leserbriefe kam nicht selten ein Schlagabtausch, oder ein zustimmender Dialog
zustande, dem ich entnehmen konnte, dass man es sehr wohl schätzt, wenn hier Jemand zu einem Thema das Wort
ergreift. Es geht auch nicht darum immer der gleichen Meinung zu sein. Das darüber sogar wertvolle Freundschaften
entstehen können, ist ein Geschenk, dass mir im letzten Jahr im besonderen Maße zuteil wurde und mich darin
bestätigt hat, unbeirrt weiter meinen Weg zu suchen.
Versäumnis Nr. 4
Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten
Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb so viele Internetnutzer so scharf auf die “Likes” sind, auf die große Anzahl an
Freunden, oder Followern.
Am Ende zählen nur die echten Freunde, die es bedauern würden, wenn man nicht mehr unter Ihnen weilt.
Zeitmangel durch Arbeitsüberlastung ist sicher in den meisten Fällen der Grund, weshalb der eine, oder andere es
nicht schafft Kontakte zu entwickeln und zu halten. So konnte ich am alljährlichen Klassentreffen meiner alten
Realschulabschlussklasse in Freiburg nicht teilnehmen. Teilnehmen deshalb, weil am gleichen Abend im Wartesaal
ein Theaterstück gegeben wurde. Es ist Ausgleich genug zuu erleben, dass viele das erst im letzten Jahr
geschaffene Kulturangebot im Bahnhof schätzen und gerne die verschiedenen Angebote annehmen.
Die vielen Bücher, die im letzten Jahr seid der Einweihung des Roten Regals getauscht und verbreitet wurden haben
auf ihre Art Kontakte geknüpft. Wer an die Theorie der “Morphischen Felder” glaubt wird nachvollziehen können,
dass alle Gedanken, die ein Leser beim Lesen eines Buches gehabt hat, mit diesem verbunden sind. Wenn dieses
dann “auf Reisen” geht, gehen die Gedanken mit und treten ihrerseits in Verbindung mit dem Leser, der als nächster
dieses Buch in Händen hält. Was will man mehr.
“Nichts läßt die Erde geräumiger erscheinen, wie wenn man Freunde in der Fremde hat” H.D. Thoreau
Versäumnis Nr. 5
Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude gegönnt.
Es gibt Diejenigen, die Freude empfinden, wenn sie sich alljährlich das neueste Automodell kaufen. Das man mit
dem Alter bescheiden wird, habe ich im letzten Jahr an meinem 92-jährigen Vater erfahren dürfen, der in ein
Pflegeheim aufgenommen wurde.
“Alles was Du besitzt, besitzt auch dich”, heißt es zurecht. Das konnte ich dann immer leidvoll feststellen, wenn mal
eine Haupt-Sicherung rausgeflogen ist, oder irgend ein anderes Anliegen rund um den Bahnhof zur Disposition
stand. Kann man daran Freude empfinden?
Man kann!
Wenn man weiß, dass die Umstellung der Energieversorgung auf nachhaltiges Wirtschaften unseren Kindern und
Kindeskindern zugute kommt. Wenn man sicher sein kann, dass das Konzept für ein Mobilitätscenter am Bahnhof
Teil einer zukunftsweisenden Verkehrspolitik ist. Wenn man im Verlauf des Jahres immer wieder aus
unterschiedlichen Richtungen hören darf, dass man auf dem richtigen Weg ist.
Wenn dann der eigene Sohn mit Freunden feststellt, dass sein Vater nicht an Denjenigen vermietet hat, der den
höchsten Preis bezahlt, sondern an den, der es am Dringensten braucht. Dann habe ich mir damit schon genug
Freude gegönnt.
Ich habe meiner Präsentation des Konzeptes für den Bahnhof vor dem Gemeinderat den Satz von Hermann Hesse
beigefügt: “Wenn man Menschen glücklicher und heiterer machen kann, so sollte man dieses tun.”
Für die Einen ist es Last, für die Anderen eine niemals endende Quelle der Freude.
Dass es trotz der vielen Arbeit wieder geklappt hat in Kontakt mit unseren Freunden in Royan kommen zu können
und es dieses Jahr an uns liegt, sie als Gäste zu begrüssen, hat uns besonders gefreut. Ob die von ihnen
vorgeschlagene Jumelage mit dem Bahnhof Royan etwas wird, mag die Zeit uns zeigen.
Für Diejenigen, die nun auf die Idee kommen sollten, dass diese Bilanz der Grund sein könnte still zu stehen und die
Hände in den Schoß zu legen: “The show must go on”.
13. Januar 2014
Die freundliche Toilette!
Der Antrag für den Einbau einer sogenannten freundlichen Toilette wurde beim Bauamt abgegeben. Dies beinhaltet
den Einbau von 3 Damen-WC und 3 Herren-WC mit 3-4 Urinalen im Keller des Südtraktes des Bahnhofs.
Die Anlage wird dann aber nicht nur den Besuchern des Backshops zur Verfügung gestellt; sie wird auch der
Allgemeinheit zugänglich sein und die unbefriedigende Situation im Bahnhofsbereich verbessern. Die Zukunft wird
dann zeigen, wie “pfleglich” mit diesem Angebot umgegangen wird.
17. Januar 2014
Mit dem Hinweis, dass eine Ausweisung als “nette Toilette” mit einer entsprechenden Bezuschussung der
Betriebskosten für den Kernbereich nicht vorgesehen ist, wird mir mitgeteilt, dass mein Antrag abgelehnt ist.
05. Februar 2014
Unter Hinweis auf Förderprogramme des Landes für die Verbesserung der Fahrradverkehrsinfrastruktur gibt man mir
den Rat die Schaffung der gesicherten Unterstellplätze im Bahnhof der Stadt balingen als Bauträger anzubieten.
Die 70 möglichen Unterstellplätze könnten damit öffentlich gefördert werden, auf die Erhebung eines
Nutzungsentgeltes könnte ich dann verzichten.
Ich unterbreite mein Angebot den entsprechenden Platz auch per grundbuchrechtlicher Verpflichtung zur Verfügung
zustellen. Bei einem geschätzten Eigenanteil der Stadt in Höhe von 10-20.000€ für bis zu 70 Plätze ein
interessantes Angebot, angesichts der Tatsache, dass die zuletzt errichteten 5 Blechboxen für das Einschliessen von
5 Fahrrädern immerhin 10.000€ gekostet haben.
18. Februar 2014
Nach mehreren Besprechungen teilt man mir mit, dass unter “Berücksichtigung der bestehenden
Eigentumsverhältnisse sowie der hieraus resultierenden rechtlichen und finanziellen Verflechtungen und
Erfordernissen die Stadt Balingen voraussichtlich nicht Bauherr der Maßnahme sein wird. Die Stadtverwaltung
ermittelt für mich aber noch die öffentlichen Fördermöglichkeiten für private bzw. gewerbliche Bauherrn.”
im Verlauf des Februars
Trotz eines Hinweises in der Hausordnung der DB auf ein Verbot des Verzehrs von übermäßigen Alkohol auf dem
Bahngelände hat es sich eingebürgert, dass eine Gruppe Heranwachsender tagtäglich bereits ab der Mittagszeit in
reichlich angetrunkenem Zustand den Wartesaal bevölkern. Neben der Belästigung der Bahnreisenden, der
Verschmutzung durch umgekippte Bierflaschen kommt es dann auch noch zu einer Schlägerei mit einer
Körperverletzung durch eine auf den Kopf geschlagene Bierflasche. Die mehrfach herbeigerufene Polizei ist
machtlos.
Erst als der Mitarbeiter der Fahrkartenausgabe eine neue Hausordnung aushängt mit dem Hinweis, dass der
Alkoholgenuss und das Rauchen im Wartesaal grundsätzlich verboten sind, kehrt Ruhe ein.
In einem Gespräch mit einem zuständigen Mitarbeiter der Verwaltung der Bahnhöfe wird mir bestätigt, dass ich das
Hausrecht im Wartesaael habe und berechtigt bin meine eigene Hausordnung zu erlassen und durchzusetzen.
Dreimal auf Holz geklopft. Seit dem Aushang wird die “neue Hausordnung” respektiert und es ist zu keinen weiteren
Vorkommnissen mehr gekommen.
Die Chronik
ab Januar 2014